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Eine Spur von Tod
Blake Pierce


Keri Locke Mystery #1
Eine dynamische Story, die einen vom ersten Kapitel an fesselt und nicht mehr loslässt. Midwest Book Review, Diane Donovan (über Once Gone) Vom #1 Bestseller-Autor Blake Pierce kommt ein neues Meisterwerk voller Rätsel und Spannung. Keri Locke, Detective bei der Einheit für vermisste Personen des LAPD, wird noch immer von der Entführung ihrer eigenen Tochter vor einigen Jahren heimgesucht, die bis heute nicht gefunden wurde. Besessen von dem Gedanken sie zu finden, vergräbt Keri ihre Trauer auf altbewährte Art und Weise: Sie taucht mit vollem Elan in die Vermisstenakten von LA ein. Ein Routineanruf einer besorgten Mutter, deren Teenager-Tochter seit zwei Stunden nicht von der Schule nach Hause gekommen ist, soll vorerst ignoriert werden. Doch etwas in der Stimme dieser Frau lässt Keri keine Ruhe. Sie beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Schnell stößt sie auf erschreckende Geheimnisse einer vermissten jungen Frau, deren Vater ein prominenter Senator ist. Alles deutet darauf hin, dass das Mädchen von zu Hause weggelaufen ist, doch Keri trotzt dem Druck von Vorgesetzten und Medien, verfolgt Spuren, die ins Nichts führen und weigert sich, aufzugeben. Sie weiß, dass sie nur 48 Stunden Zeit hat, das Mädchen lebend zu finden und nach Hause zu bringen. Ein düsterer Psychothriller voller Spannung und Herzklopfen. EINE SPUR VON TOD ist das Debüt einer fesselnden neuen Krimireihe – mit einer liebenswerten Hauptperson und dem Potenzial, Sie bis tief in die Nacht hinein wach zu halten. Ein Meisterwerk von Thriller! Der Autor erschafft gekonnt die Charaktere und deren Psyche. Er beschreibt sie so gut, dass wir uns direkt in ihrer Gedankenwelt wiederfinden, ihre Ängste miterleben und auf ein Happy End hoffen. Der intelligente Plot wird Sie bestens unterhalten und mit seinen unerwarteten Wendungen bis zur letzten Seite fesseln. Buch und Filmkritiker, Roberto Mattos (re Once Gone) Buch #2 der Keri Locke Reihe wird auch bald zu haben sein.







EINE SPUR VON TOD



(KERI LOCKE MYSTERY—BUCH 1)



B L A K E P I E R C E


Blake Pierce



Blake Pierce ist der Autor der sechsteiligen RILEY PAGE Mystery-Bestsellerserie (Fortsetzung in Arbeit). Blake Pierce hat auГџerdem die MACKENZIE WHITE Mystery-Serie, bestehend aus drei BГјchern (Fortsetzung in Arbeit), die AVERY BLACK Mystery-Serie, bestehend aus drei BГјchern (Fortsetzung in Arbeit) und die neue KERI LOCKE Mystery-Serie geschrieben.

Der leidenschaftliche Leser und langjährige Fan von Mystery und Thriller-Romanen, Blake Pierce, freut sich von Ihnen zu hören. Besuchen Sie www.blakepierceauthor.com (http://www.blakepierceauthor.com) für weitere Infos.



Copyright © 2016 Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Außer durch Genehmigung gemäß U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung des Autors vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt oder in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren.

Dieses Buch ist Fiktion. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind vom Autor frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig.

Jacket Image Copyright PhotographyByMK, unter der Lizenz von Shutterstock.com.


BГњCHER VON BLAKE PIERCE



RILEY PAIGE KRIMI SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKГ–DERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)



MACKENZIE WHITE KRIMIREIHE

BEVOR ER TГ–TET (Buch #1)

BEVOR ER SIEHT (Buch #2)



AVERY BLACK MYSTERY SERIES

DAS MOTIV (Buch Nr.1)

LAUF (Buch Nr. 2)

URSACHE ZU VERBERGEN (Buch Nr. 3)



KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Buch #1)

EINE SPUR VON MORD (Buch #2)


INHALT



PROLOG (#uc2e70dcf-b75c-59cd-a617-556b9ac14a73)

KAPITEL EINS (#u5088417b-8e58-55ce-9b1c-f110173a07a4)

KAPITEL ZWEI (#uca4860c2-86af-5135-8e4b-462e2b914c38)

KAPITEL DREI (#u3feb51c2-83a2-53f9-bc9f-289dacae3eee)

KAPITEL VIER (#u82d3003b-a49a-4b39-b9c3-1fb7e3cd77ac)

KAPITEL FГњNF (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHS (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBEN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHT (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ELF (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWГ–LF (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)




PROLOG


Er sah auf die Uhr.

2 Uhr 59.

Die Schulglocke klingelte jeden Augenblick.

Ashley wohnte nur ein paar Blocks von der Schule entfernt, weniger als eine Meile, und sie ging fast immer alleine. Doch genau das machte ihm Sorgen – heute war einer der wenigen Tage, an denen sie Gesellschaft hatte.

Schon wenige Minuten, nachdem die Schule zu Ende war, erblickte er sie. Sein Herz klopfte, als er sie mit zwei anderen Mädchen die Main Street entlang gehen sah. Sie blieben an einer Kreuzung stehen und redeten. Das reichte nicht. Er musste sie alleine treffen. Er musste.

Er spГјrte die Angst im Nacken. Heute musste es passieren.

Er saß auf dem Fahrersitz seines Vans und versuchte zu kontrollieren, was er sein Wahres-Ich nannte. Sein Wahres-Ich hatte hingegen die Kontrolle, wenn er seine Experimente an den Objekten in der Homebase durchführte. Dieses Wahre-Ich ermöglichte ihm auch, die Schreie und das Flehen der Objekte zu ignorieren, sodass er sich auf seine überaus wichtige Aufgabe konzentrieren konnte.

Doch die meiste Zeit musste er sein Wahres-Ich verbergen. Er musste sich immer wieder daran erinnern, sie MГ¤dchen anstatt Objekte zu nennen. Er bemГјhte sich, sie beim Namen zu nennen. „Ashley“. Er musste sich immer wieder daran erinnern, dass er nach auГџen hin vГ¶llig normal erscheinen musste, und dass niemand erkennen sollte, was sich in seinem Inneren abspielte.

Das klappte jetzt schon seit Jahren – er gab sich MГјhe. Er wurde sogar hin und wieder „langweilig“ genannt. Das gefiel ihm. Es bedeutete, dass er ein guter Schauspieler war. Er schaffte es, die Fassade eines ganz normalen Lebens aufrecht zu erhalten, worum ihn manch einer sogar beneidete. Er war mitten unter ihnen – bestens getarnt.

Aber jetzt spГјrte er das Verlangen in der Brust. Es wurde so stark, dass er es nur mit MГјhe zГјgeln konnte.

Er schloss die Augen, atmete ein paarmal tief durch und ging in Gedanken noch einmal seine Anweisungen durch. Dann atmete er tief ein, hielt die Luft fГјr ein paar Sekunden an, um daraufhin mit summender Stimme auszuatmen.

„Ommm…“

Dann Г¶ffnete er die Augen wieder. Er fГјhlte sich erleichtert. Die beiden Freundinnen waren inzwischen in die Clubhouse Avenue eingebogen und gingen in Richtung Wasser. Ashley ging alleine weiter. Gleich wГјrde sie am Hundepark vorbei kommen.

Manchmal verbrachte sie ihre Nachmittage damit, den Hunden zuzuschauen, wie sie hinter Tennisbällen herjagten. Nicht heute. Heute ging sie zielstrebig daran vorbei, als hätte sie etwas Bestimmtes vor.

Wenn sie geahnt hätte, was auf sie zukam, hätte sie sich Zeit gelassen.

Er grinste Гјber diesen Gedanken.

Er fand sie attraktiv. Jetzt fuhr er langsam hinter ihr her. Am Zebrastreifen wartete er absichtlich etwas länger und bewunderte ihren athletischen, von der Sonne gebräunten Körper. Sie trug einen knielangen, pinken Rock und ein hellblaues, figurbetontes Top.

Dann war es soweit.

Ein GefГјhl der Ruhe umhГјllte ihn. Er aktivierte die etwas seltsam aussehende E-Zigarette, die vor ihm auf der Ablage lag, und drГјckte vorsichtig auf das Gaspedal.

Er lenkte den Van direkt neben sie und rief durch das geöffnete Beifahrerfenster.

„Hey!“

Sie sah Гјberrascht auf und blinzelte durch das Fenster, um zu erkennen, wer gerufen hatte.

„Ich bin’s“, sagte er locker und hielt den Van an. Dann Г¶ffnete er die BeifahrertГјr, damit sie ihn besser sehen konnte.

Sie kam etwas näher heran. Er beobachtete, wie sich ihr Gesicht veränderte, als sie ihn schließlich erkannte.

„Ach du bist es, sorry“, entschuldigte sie sich.

„Kein Problem“, sagte er und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette.

Sie sah das Gerät in seiner Hand genauer an.

„So eine habe ich noch nie gesehen.“

„MГ¶chtest du probieren?“, bot er ihr mГ¶glichst beilГ¤ufig an.

Sie nickte und kam noch einen weiteren Schritt näher. Er beugte sich zu ihr hinüber, als würde er die Zigarette jeden Augenblick aus dem Mund nehmen und ihr hinhalten, aber als sie nur noch einige Zentimeter entfernt war, drückte er einen kleinen Knopf, und sofort sprühte ihr eine Giftmischung direkt ins Gesicht. Gleichzeitig hielt er sich selbst eine Schutzmaske über Mund und Nase.

Es ging so schnell und unauffällig, dass Ashley es nicht einmal bemerkte. Bevor sie reagieren konnte, schlossen sich ihre Augen und ihre Beine gaben nach.

Da sie sich bereits zu ihm gelehnt hatte, fiel sie ihm direkt in die Arme und er bugsierte sie sanft auf den Beifahrersitz. Für einen Beobachter hätte es aussehen können, als wäre sie ganz freiwillig in den Van eingestiegen.

Sein Herz klopfte wild, aber er musste jetzt ruhig bleiben. Er hatte es fast geschafft.

Er streckte den Arm aus, am Objekt vorbei, schloss die BeifahrertГјr und schnallte es an. Dann atmete er tief durch.

Er ГјberprГјfte schnell, ob die Luft rein war, und fuhr wieder an.

Bald reihte er sich unauffällig in den südkalifornischen Feierabendverkehr ein. Er war einer von vielen, die sich ihren Weg durch diesen Dschungel der Zivilisation bahnten.




KAPITEL EINS


Montag

Spätnachmittag



Detective Keri Locke wollte der Versuchung widerstehen. Als jüngste Ermittlerin bei der Einheit für vermisste Personen der Dienststelle Los Angeles Pacific erwartete musste sie härter arbeiten als alle anderen. Seit vier Jahren war sie dabei und sie hatte das Gefühl, dass sie sich als vierunddreißig Jahre junge Frau vor den anderen Beamten der LAPD beweisen musste. Sie konnte sich also nicht leisten tatenlos am Fenster herumzustehen.

Das Revier vibrierte förmlich vor Geschäftigkeit. Eine aufgebrachte, etwas ältere lateinamerikanische Frau saß an einem benachbarten Schreibtisch und zeigte einen Taschendiebstahl an. Ein paar Zimmer weiter wurde gerade ein Autodieb abgeführt. Es war ein ganz normaler Nachmittag auf dem für Keri inzwischen alltäglich gewordenen Arbeitsplatz. Dennoch empfand sie wieder diesen Drang, den sie einfach nicht ignorieren konnte.

SchlieГџlich gab sie nach. Sie stand auf und ging zu dem Fenster, das direkt auf den Culver Boulevard blickte. Sie sah ihre Reflexion auf der Glasscheibe. Die grellen Strahlen der Nachmittagssonne lieГџen sie halb menschlich, halb ГјbernatГјrlich aussehen.

Genauso fühlte sie sich auch. Sie wusste, dass sie objektiv betrachtet eine attraktive Frau war. Sie war groß und schlank und sie hatte dunkelblondes Haar. Ihre Figur hatte unter der Schwangerschaft kaum gelitten. Die Männer drehten sich immer noch nach ihr um.

Aber wenn man genau hinsah, konnte man sehen, dass ihre braunen Augen rot unterlaufen waren, dass sich auf ihrer Stirn die ersten Sorgenfalten abzeichneten und dass ihre Haut den blassen Farbton eines Gespensts angenommen hatte.

Wie jeden Tag trug sie eine schlichte Bluse, eine schwarze Hose und flache schwarze Schuhe, in denen sie auch rennen konnte. Ihre Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das war ihre inoffizielle Uniform. Das einzige, was sich hin und wieder Г¤nderte, war die Farbe ihrer Bluse. Ihr Leben verstrich ohne richtig gelebt zu werden.

Keri nahm eine Bewegung auf der StraГџe wahr. Jetzt kamen sie.

DrauГџen auf dem Culver Boulevard war kaum jemand zu sehen. Auf der anderen StraГџenseite befand sich ein Gehsteig, der um diese Zeit meistens voller Menschen war. Heute war es aber mit 38 Grad unerbittlich heiГџ drauГџen. Nicht das geringste LГјftchen regte sich, obwohl sie keine fГјnf Meilen vom Meer entfernt waren. Die meisten Familien, die ihre Kinder normalerweise zu FuГџ abholten, saГџen heute in ihren klimatisierten Fahrzeugen. Nur eine Familie nicht.

Um genau 4 Uhr und 12 Minuten fuhr ein junges Mädchen, vielleicht sieben oder acht Jahre alt, langsam auf ihrem Fahrrad diesen Weg entlang. Sie trug ein elegantes weißes Kleid. Ihre junge Mutter kam mit ein wenig Abstand in Jeans und T-Shirt hinterher. Den Rucksack des Mädchens trug sie auf der linken Schulter.

Keri wurde mulmig zumute. Sie wollte dagegen ankämpfen. Verstohlen sah sie sich um. Ob jemand sie beobachtete? Doch niemand beachtete Keri. Sie sah dem Mädchen und ihrer Mutter eifersüchtig und sehnsüchtig zu. Auch wenn sie sie Mädchen schon so oft gesehen hatte, konnte Keri immer noch nicht fassen, wie sehr das Mädchen ihrer kleinen Evie ähnelte: die blonden Locken, die grünen Augen, das leicht schiefe Grinsen.

Wie in Trance starrte Keri aus dem Fenster, auch als das Mädchen schon längst außer Sichtweite war.

Als Keri sich schließlich wieder ihrem Büro zuwandte, verließ die lateinamerikanische Frau gerade das Revier. Auch der Autodieb war nicht mehr da. Neue Übeltäter waren erschienen, in Handschellen und unter strenger Aufsicht. Sie warteten geduldig auf ihr weiteres Schicksal.

Keri warf einen Blick auf die Digitalanzeige der Kaffeemaschine. 4 Uhr 22.

Stand ich wirklich zehn Minuten lang an diesem Fenster? Es wird immer länger.

Mit gesenktem Kopf ging sie wieder an ihren Schreibtisch, um den neugierigen Blicken ihrer Kollegen zu entgehen. Sie setzte sich und konzentrierte sich auf die Akten, die auf ihrem Tisch lagen. Der Fall Martine war soweit abgeschlossen und wartete nur noch auf die Unterschrift des Staatsanwalts, bevor die Akte endgültig geschlossen werden konnte. Der Fall Sanders lag hingegen auf Eis, bis die Spurensicherung den vorläufigen Bericht vorlegte. Eine andere Abteilung hatte Pacific gebeten, den Fall einer vermissten Prostituierten namens Roxie unter die Lupe zu nehmen. Eine ihrer Kolleginnen hatte angedeutet, dass sie jetzt im Westen der Stadt arbeitete, und wenn Pacific das bestätigte, musste keine Vermisstenakte eröffnet werden.

Oft war das Schwierige an ihrem Job, dass es kein Verbrechen war, wenn erwachsene Menschen „verschwanden“. Wenn es sich um MinderjГ¤hrige handelte, hatte die Polizei eine größere Handlungsfreiheit, je nachdem wie alt die verschwundene Person war. Im GroГџen und Ganzen konnte man jedoch nicht viel tun, wenn jemand beschloss, spurlos zu verschwinden. Das geschah Г¶fter, als man dachte. Wenn es keinen Hinweis auf ein Verbrechen gab, waren den Ermittlern die HГ¤nde gebunden. Deswegen wurde wie in Roxies Fall oft Гјberhaupt nichts unternommen.

Keri seufzte resigniert und stellte fest, dass es heute keinen Grund gab, länger als bis 5 Uhr zu bleiben, wenn bis dahin nicht noch etwas Wichtiges passierte.

Sie schloss die Augen und stellte sich vor, wie sie sich in weniger als einer Stunde in ihrem Hausboot Sea Cups zurücklehnen und drei – oder vielleicht besser vier – große Schlucke Glenlivet genehmigen würde. Sie würde ein paar Reste vom Chinesen verputzen, die sie noch im Kühlschrank hatte, und ein paar Wiederholungen von Reich und Schön im Fernsehen ansehen. Falls diese ganz individuelle Therapiestunde nicht ausreichen sollte, konnte sie sich immer noch auf Dr. Blancs Couch legen, auch wenn ihr diese Lösung wenig verlockend erschien.

Sie hatte bereits begonnen, die Akten aufzurГ¤umen, als Ray an ihren gemeinsamen Schreibtisch kam und sich auf seinen Stuhl fallen lieГџ. Ray hieГџ eigentlich Detective Raymond „Big“ Sands und war nun seit knapp einem Jahr ihr Partner, aber seit bereits sieben Jahren ihr Freund.

Keri nannte ihn jedoch nie Big. Sein Ego war bereits groß genug. Sie nannte ihn ausschließlich Ray. Er war knapp zwei Meter groß, Afroamerikaner, hatte eine Glatze und brachte stolze Hundertzwanzig Kilo auf die Waage. Einem seiner Schneidezähne fehlte eine kleine Ecke, was sein Gesicht mit dem kurzen Ziegenbärtchen ebenso einschüchternd wirken ließ, wie die immer etwas zu engen Hemden, die seine kräftige Statur unterstrichen.

Er war vierzig Jahre alt, sah aber noch fast genauso aus, wie vor zwanzig Jahren, als er eine olympische Medaille in der Schwergewichtsklasse im Boxen gewonnen hatte. Er hatte seinen Titel acht Jahre lang verteidigt, bis ihm eines Tages ein zwei Köpfe kleinerer Gegner mit einem hinterhältigen Schlag ins Gesicht das rechte Auge kaputt geschlagen hatte. Das war das Ende seiner Karriere. Das Auge war nicht mehr zu retten, und nachdem er zwei Jahre lang eine Augenklappe getragen hatte, wurde ihm letzten Endes ein Glasauge eingesetzt. Seitdem sieht man ihm von dem Unglück nicht mehr viel an.

Genau wie Keri hatte Ray sich also relativ spät für die Polizeiarbeit entschieden, weil er nach einer neuen Lebensaufgabe gesucht hatte. Er war schnell aufgestiegen und arbeitete jetzt als Senior Detective bei der Einheit für vermisste Personen.

„Du siehst aus als wГјrdest du von Wellen und Whiskey trГ¤umen“, sagte er.

„Ist es so offensichtlich?“, fragte sie.

„Ich bin eben ein Top-Ermittler. Meine Beobachtungsgabe kennt keine Grenzen. Ganz davon abgesehen hast du deine FeierabendplГ¤ne heute schon mindestens zweimal angemerkt.“

„Was soll ich sagen? Ich bin eben besonders zielstrebig, Detective Sands.“

Er lächelte sie an und sein gesundes Auge strahlte eine Herzlichkeit aus, die man ihm auf den ersten Blick vielleicht nicht zutrauen würde. Keri war die einzige, die ihn bei seinem echten Namen nannte, auch wenn sie sich gerne Spitznamen füreinander ausdachten, wenn sie alleine waren.

„HГ¶r mal, Little Miss Sunshine, vielleicht solltest du in den letzten Minuten vor Feierabend besser die Spurensicherung kontaktieren und den Fall Sanders endlich abschlieГџen, anstatt von deinem FlГ¤schchen zu trГ¤umen.“

„Mein FlГ¤schchen?“, sagte sie Гјberspitzt entrГјstet, „nur damit wir uns richtig verstehen, aus dem Alter bin ich raus. Mir kommen nur noch ausgewachsene Flaschen ins Haus, Gigantor.“

Gerade wollte er zu einer Antwort ansetzen, als das Telefon klingelte. Keri nahm den Hörer ab und streckte ihm die Zunge heraus.

„Einheit fГјr vermisste Personen, Dienststelle Pacific. Sie sprechen mit Detective Locke.“

Ray hatte seinen Apparat ebenfalls abgehoben und hörte still zu.

Die Frau am anderen Ende der Leitung klang jung, vielleicht Ende zwanzig oder Anfang dreißig. Noch bevor sie den Grund ihres Anrufs erklärt hatte, hatte Keri bereits die Sorge in ihrer Stimme bemerkt.

„Mein Name ist Mia Penn. Ich wohne in den Venice Canals bei Dell Avenue. Ich mache mir Sorgen um meine Tochter Ashley. Sie hГ¤tte lГ¤ngst nach Hause kommen mГјssen. Sie weiГџ, dass wir heute einen Zahnarzttermin haben. Sie hat mir eine SMS geschickt, als sie sich auf den Heimweg gemacht hat, aber sie ist nicht zu Hause angekommen. Jetzt beantwortet sie weder Anrufe noch Nachrichten. Das sieht ihr Гјberhaupt nicht Г¤hnlich. Sie ist normalerweise sehr verantwortungsbewusst.“

„Miss Penn, lГ¤uft oder fГ¤hrt Ashley den Weg normalerweise?“, fragte Jeri.

„Sie ist zu FuГџ unterwegs. Sie ist erst fГјnfzehn Jahre alt – zehnte Klasse. Es dauert noch, bis sie ihren FГјhrerschein bekommt.“

Keri warf Ray einen Blick zu. Sie wusste genau, was er dachte und diesmal musste sie ihm wahrscheinlich Recht geben. Doch etwas in Mia Penns Stimme lieГџ sie aufhorchen. Sie spГјrte, dass diese Frau am Rande eines Nervenzusammenbruchs stand.

Dann schaltete Ray sich ein.

„Miss Penn, hier spricht Detective Ray Sands. Bitte atmen Sie einmal tief durch. Nun, kГ¶nnen Sie mir sagen, ob Ihre Tochter sich schon einmal verspГ¤tet hat?“

Mia Penn legte sofort los, ohne tief durchzuatmen.

„NatГјrlich hat sie sich schon einmal verspГ¤tet“, gab sie zu und versuchte sich die Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. „Wie ich schon sagte, sie ist fГјnfzehn, aber sie sagt normalerweise immer Bescheid, wenn sie aufgehalten wird. Besonders, wenn wir etwas vorhaben.“

Ray ignorierte Keris missbilligenden Blick und sprach weiter.

„Miss Penn, da ihre Tochter minderjГ¤hrig ist, gelten andere Gesetze. Wir haben die Befugnis, weitere Ermittlungen durchzufГјhren. Aber um ganz ehrlich zu sein: ein Teenager, der sich nach der Schule zwei Stunden verspГ¤tet und nicht auf die Nachrichten seiner Mutter antwortet, wird nicht die Art von Ermittlungen auslГ¶sen, auf die Sie jetzt hoffen. Wir kГ¶nnen nicht allzu viel fГјr Sie tun. Am besten wГ¤re es, wenn Sie zu uns aufs Revier kommen und eine Vermisstenanzeige aufgeben. Das kann auf jeden Fall nicht schaden. Im Gegenteil, wenn es nГ¶tig wird, kГ¶nnen wir dann schneller handeln.“

Es dauerte ein wenig, bis Mia Penn antwortete. Ihre Stimme hatte jetzt einen anderen Tonfall.

„Wie lange muss ich denn warten, bis Sie schnell handeln, Detective?“, zischte sie. „Reichen noch zwei weitere Stunden oder muss ich warten, bis es dunkel ist? Oder muss ich vielleicht sogar bis morgen frГјh abwarten? Ich wette, ich mГјsste nur…“

Was auch immer Mia Penn jetzt sagen wollte, verkniff sie sich. Ray wollte antworten, aber Keri hielt ihre Hand hoch und warf ihm den Überlass�-Das-Mir Blick zu.

„Miss Penn? Hier ist wieder Detective Locke. Sie sagten, Sie wohnen in den Venice Canals, richtig? Auf dem Heimweg komme ich ohnehin dort vorbei. Wenn Sie mir Ihre E-Mail Adresse geben, schicke ich Ihnen jetzt das entsprechende Formular. Sie kГ¶nnen es direkt ausfГјllen und ich hole es spГ¤ter bei Ihnen ab. Dann kann es sofort ins System eingegeben werden. Was halten Sie davon?“

„Das wГ¤re groГџartig, Detective Locke. Vielen Dank.“

„Kein Problem. Vielleicht ist Ashley bis dahin wieder aufgetaucht, dann bekommt sie von mir einen gratis Vortrag darГјber, wie wichtig es ist, mit seinen Eltern in Kontakt zu bleiben.“

Nachdem das Gespräch beendet war, bereitete Keri alles vor, um sich zuerst zu Familie Penn und dann in den Feierabend zu begeben.

Ray hatte kein Wort mehr gesagt. Sie wusste, dass er verärgert war, aber sie versuchte es zu ignorieren. Wenn sich ihre Blicke jetzt trafen, würde er ihr einen Vortrag halten, ob sie wollte oder nicht.

Doch Ray sagte seine Meinung auch ohne Blickkontakt.

„Die Canals liegen nicht auf deinem Heimweg.“

„Es ist aber kein groГџer Umweg“, entgegnete sie. „Dann komme ich eben erst um halb sieben zum Yachthafen. Nicht der Rede wert.“

„Es ist eben doch der Rede wert, Keri. Du bist jetzt seit einem Jahr Detective. Ich bin froh, dass du mein Partner bist und du hast wirklich gute Arbeit geleistet, auch bevor du die Marke bekommen hast. Zum Beispiel im Fall Gonzales. Ohne dich hГ¤tte ich diesen Fall nicht gelГ¶st und ich bin schon um einiges lГ¤nger dabei. Du hast einen sechsten Sinn, was di Ermittlungen angeht. Deswegen bist du immer wichtig fГјr uns gewesen und deswegen kГ¶nntest du ein wirklich auГџergewГ¶hnlicher guter Detective werden.“

„Danke“, sagt sie, auch wenn sie wusste, dass gleich ein aber kam.

„Aber du hast einen ganz offensichtlichen Schwachpunkt und der wird dich noch ruinieren, wenn du ihn nicht in den Griff bekommst. Du musst das System fГјr dich arbeiten lassen. Es hat sich bewГ¤hrt. FГјnfundsiebzig Prozent unserer FГ¤lle werden sich innerhalb von zwei Tagen selbst aufklГ¤ren, ohne wir du etwas dafГјr tun mГјssen. Wir mГјssen uns manchmal damit abfinden, gewisse Dinge abzuwarten, wГ¤hrend wir uns auf die anderen fГјnfundzwanzig Prozent konzentrieren. Ansonsten machen wir uns nur selbst fertig. Wir werden immer unproduktiver, noch schlimmer – kontraproduktiv. Damit wГјrden wir die Menschen im Stich lassen, die uns wirklich brauchen. Es gehГ¶rt zu unserem Beruf, PrioritГ¤ten zu setzen.“

„Ray, ich habe doch keinen Suchtrupp organisiert. Ich mГ¶chte nur einer besorgten Mutter helfen, die nГ¶tigen Papiere einzureichen. Und es ist wirklich kein groГџer Umweg fГјr mich.“

„Und…“, sagte er erwartungsvoll.

„Und etwas in ihrer Stimme hat mir gesagt, dass da noch etwas ist. Ich mГ¶chte einfach kurz persГ¶nlich mit ihr reden. Wahrscheinlich ist es nichts, dann werde ich mich direkt auf den Heimweg machen.“

Ray schГјttelte den Kopf und setzte noch einmal an.

„Wie viele Stunden hast du verschwendet wegen diesem obdachlosen Jungen in Palms? FГјnfzehn? Du warst sicher, dass er verschwunden war, aber am Ende war gar nichts.“

Keri zog die Schultern hoch.

„Vorsicht ist besser als Nachsicht“, murmelte sie.

„Einen Job haben ist besser als seinen Job verlieren, weil man gegen das Interesse der Abteilung handelt“, konterte er.

„Es ist nach fГјnf Uhr“, bemerkte sie.

„Und?“

„Das heiГџt, dass ich jetzt Feierabend habe. WГјrdest du mich bitte entschuldigen? Ich werde erwartet.“

„Mir scheint es, als hГ¤ttest du nie Feierabend. Ruf Sie zurГјck, sag ihr, dass sie die Formulare per E-Mail schicken soll, sobald sie sie ausgefГјllt hat. Sag ihr, dass sie anrufen soll, wenn sie irgendwelche Fragen hat. Und dann – geh nach Hause!“

Sie hatte so viel Geduld aufgebracht, wie sie konnte, aber für Keri war das Gespräch jetzt beendet.

„Wir sehen uns morgen, Mr. Clean“, sagt sie und drГјckte seinen Arm.

Als sie den Parkplatz Гјberquerte und in ihren silbernen Toyota Prius stieg, suchte sie in Gedanken den schnellsten Weg zu den Venice Canal. Sie spГјrte eine Unruhe in sich, die sie nicht ganz verstehen konnte.

Sie wusste aber, dass das kein gutes Zeichen war.




KAPITEL ZWEI


Montag

Spätnachmittag



Keri lenkte ihren Prius ein bisschen zu schnell durch den zäh fließenden Verkehr nach Venice. Sie beeilte sich, weil ihr Bauchgefühl jetzt noch stärker geworden war.

Die Canals lagen nur wenige StraГџen von den Touristenmagneten Boardwalk und Muscle Beach entfernt. Sie brauchte fast zehn Minuten um einen Parkplatz zu finden. Keri stieg aus dem Wagen und lieГџ sich zu FuГџ von ihrem Handy ans Ziel navigieren.

Die Venice Canals waren nicht einfach nur ein Stadtteil. Vielmehr handelte es sich um eine Reihe von Kanälen, die im frühen 20. Jahrhundert nach venezianischem Vorbild gebaut worden waren. Sie erstreckten sich über zehn Blocks südlich des Venice Boulevards. Vereinzelt standen auch kleine, bescheidene Häuschen an den Wasserstraßen, aber die meisten waren extravagante Strandhäuser. Einige davon waren vermutlich mehrere Millionen Dollar wert.

Das Haus, vor dem Keri schließlich stehen blieb, war beeindruckend. Es war drei Stockwerke hoch und hatte elegante Stuckwände. Um zur Haustür zu gelangen, ging Keri vom Kanal aus um das Haus herum. Dabei fielen ihr mehrere Sicherheitskameras auf, die am Haus angebracht waren. Jede ihrer Bewegungen schien beobachtet zu werden.

Warum wohnen eine junge Mutter und ihre Teenage-Tochter in so einem Gebäude? Und wozu brauchen sie Überwachungskameras?

Keri drückte gegen das Eisentor und stellte überrascht fest, dass es offen war. Sie ging zur Haustür. Gerade als sie anklopfen wollte, wurde die Tür geöffnet.

Eine Frau in ausgetragenen Jeans und weiГџem Tank Top stand ihr gegenГјber. Sie hatte dickes braunes Haar und war barfuГџ. Wie Keri bereits vermutet hatte, war sie um die dreiГџig Jahre alt. Sie war etwa so groГџ wie Keri, jedoch um einiges schmaler, braungebrannt und abgesehen von ihrem besorgten Gesichtsausdruck sehr attraktiv.

Keris erster Gedanke war PГјppchen.

„Mia Penn?“, fragte sie.

„Ja. Kommen Sie doch bitte herein, Detective Locke. Ich habe die Formulare bereits ausgefГјllt.“

Keri betrat das beeindruckende Foyer, von dem zwei Marmortreppen nach oben führten. Hier hätte man genügend Platz für ein ganzes Basketballfeld. Die Einrichtung war makellos, Kunstwerke zierten die Wände und mehrere Skulpturen standen auf hölzernen Sockeln im Raum verteilt.

Es sah aus wie in der Luxusausgabe eines Schöner Wohnen Katalogs. Ein besonders auffällig platziertes Gemälde konnte Keri als Delano identifizieren. Es war vermutlich mehr wert, als das zwanzigjährige Hausboot, auf dem sie seit einiger Zeit wohnte.

Mia Penn führte sie in ein weniger formell eingerichtetes Wohnzimmer, ließ sie Platz nehmen und bot ihr eine Flasche Wasser an. Es dauerte etwas, bis Keri einen stämmigen Mann in einem sportlichen Jackett bemerkte, der auf der anderen Seite des Raumes an der Wand lehnte. Wortlos beobachtete er Keri. Sie bemerkte eine kleine Ausbuchtung unter dem Jackett auf der rechten Hüfte.

Er ist bewaffnet. Vermutlich Security.

Mia Penn verlor keine Zeit. Sowie Keri Platz genommen hatte, redete sie los.

„Ashley reagiert immer noch nicht auf meine Anrufe. Sie war auch nicht online, seit die Schule aus ist, kein Facebook, Instagram, Twitter…“ Sie atmete langsam aus. „Danke, dass Sie gekommen sind. Ich kann gar nicht sagen, wie wichtig mir das ist.“

Keri nickte langsam, sah sich ihr GegenГјber genau an und versuchte, sich ein Bild von Mia Penn zu machen. Wie sie am Telefon vermutet hatte, schien diese Frau sich wirklich schreckliche Sorgen zu machen.

Die Sorge um ihre Tochter ist echt. Aber irgendetwas verschweigt sie mir.

„Sie sind jГјnger, als ich dachte“, sagte Keri schlieГџlich.

„Ich bin dreiГџig. Als ich Ashley bekommen habe, war ich gerade fГјnfzehn.“

„Wow.“

„Das haben alle gesagt. Ich denke, weil unser Altersunterschied nicht so groГџ ist, hatten Ashley und ich schon immer ein besonderes VerhГ¤ltnis. Manchmal weiГџ ich, was sie fГјhlt, ohne sie Гјberhaupt ansehen zu mГјssen. Ich weiГџ, das klingt lГ¤cherlich, aber wir haben wirklich diese Verbindung. Auch wenn das fГјr Sie kein Beweis ist, kann ich spГјren, dass etwas nicht stimmt.“

„Sie mГјssen jetzt vor allem einen klaren Kopf bewahren“, sagte Keri.

Gemeinsam gingen sie die Einzelheiten durch.

Mia hatte Ashley zuletzt am Morgen gesehen. Alles war ganz normal. Sie hatte Joghurt, MГјsli und Erdbeeren zum FrГјhstГјck und war dann gut gelaunt zur Schule gegangen.

Ashleys beste Freundin hieß Thelma Grey. Mia hatte sie angerufen, als Ashley nicht nach Hause gekommen war. Thelma hatte sie in der Geometrieklasse getroffen und sie hatte nichts Ungewöhnliches bemerkt. Gegen 2 Uhr hatte sie sie noch einmal in der Aula gesehen. Thelma hatte keine Ahnung, warum Ashley nicht nach Hause gekommen war.

Mia hatte auch mit Ashleys Freund gesprochen, einem sportlichen jungen Mann namens Denton Rivers. Er sagte, dass er Ashley in der Schule gesehen hatte, sie aber auf seine Nachrichten nach der Schule nicht mehr geantwortet hatte.

Ashley hatte keine Krankheiten, nahm keine Medikamente und litt auch sonst unter keinerlei Beeinträchtigung. Mia hatte sich gründlich in Ashleys Zimmer umgesehen, aber alles schien ganz normal zu sein.

Keri hörte aufmerksam zu und notierte sich die Namen von Ashleys Freunden, die sie später noch kontaktieren wollte.

„Mein Mann mГјsste jetzt auch jeden Augenblick nach Hause kommen. Er mГ¶chte auch mit Ihnen sprechen.“

Keri blickte auf. Mias Tonfall hatte sich plötzlich geändert. Sie klang jetzt vorsichtiger.

Was auch immer sie verbergen will, es hat mit ihm zu tun.

„Wie heiГџt Ihr Mann?“, fragte sie beilГ¤ufig.

„Er heiГџt Stafford.“

„Moment, Ihr Mann ist Stafford Penn? Senator Stafford Penn?“

„Genau der.“

„Diese Information ist sehr wichtig, Miss Penn. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“

„Weil Stafford das nicht wollte.“

„Warum wollte er es nicht?“

„Das mГ¶chte er Ihnen gerne selbst erklГ¤ren.“

„Wann erwarten Sie ihn?“

„In spГ¤testens zehn Minuten.“

Keri sah sie lange an und Гјberlegte, ob sie mehr Druck machen sollte. Vorerst entschied sie sich jedoch dagegen.

„Haben Sie vielleicht ein Foto von Ashley?“

Mia reichte Keri ihr Handy. Darauf war eine junge Frau in einem Sommerkleid zu sehen. Sie hätte Mias jüngere Schwester sein können. Sie sahen sich unglaublich ähnlich, nur dass Ashley blond war, vielleicht ein bisschen größer und noch sportlicher als ihre Mutter. Das Kleid zeigte ihre sportlichen Beine und ihre starken Schultern. Keri vermutete, dass Ashley regelmäßig surfen ging.

„Ist es nicht mГ¶glich, dass Ashley den Termin nur vergessen hat und jetzt mit ihrem Surfboard im Meer herumschwimmt?“, fragte Keri.

Mia lächelte zum ersten Mal, seit Keri sie getroffen hat.

„Ich bin beeindruckt, Detective. Das haben sie an nur einem Foto gesehen? Ashley surft am liebsten morgens – bessere Wellen und weniger Leute. Ich habe in der Garage nachgesehen, ihr Surfboard ist an seinem Platz.“

„KГ¶nnen Sie mir dieses Foto und ein paar Nahaufnahmen schicken, die sie geschminkt und ungeschminkt zeigen?“

Während Mia das sofort tat, stellte Keri ihr noch ein paar Fragen.

„Welche Schule besucht sie?“

„West Venice High.“

Keri war erstaunt. Sie kannte die Schule gut. Es war eine staatliche Schule, auf die hunderte von Kindern mit ganz unterschiedlichen HintergrГјnden gingen. Sie hatte schon einige junge Leute verhaftet, die auf die West Venice gegangen sind.

Warum geht die Tochter eines reichen US Senators nicht auf eine schicke Privatschule?

Mia las wohl ihre Gedanken.

„Stafford fand das nie gut. Er wollte immer, dass sie eine Privatschule besucht und spГ¤ter nach Harvard geht, so wie er. Aber es ging nicht nur um die Ausbildung. Er wollte es auch, weil er Privatschulen fГјr sicherer hГ¤lt“, sagt sie. „Ich wollte aber, dass sie auf eine staatliche Schule geht, damit sie mit einer bunten Mischung von Kids auf das echte Leben vorbereitet wird. Es war eines der wenigen Male, bei denen ich mich durchgesetzt habe. Wenn Ashley jetzt auf dieser Schule etwas zugestoГџen ist, bin ich dafГјr verantwortlich.“

Keri wollte diesen Gedanken im Keim ersticken.

„Erstens – Ashley wird nichts zustoГџen. Zweitens – wenn doch etwas passiert wГ¤re, wГ¤re es nicht die Schuld ihrer Mutter, sondern die Schuld desjenigen, der ihr etwas angetan hat.“

Dann blickte sie Mia Penn lange ins Gesicht. Hatte sie sich Гјberzeugen lassen? Keri wollte verhindern, dass diese Frau die Fassung verlor. Sie entschied, noch einen Schritt weiter zu gehen.

„Lassen Sie uns noch einmal gemeinsam Гјberlegen: Gibt es jemanden, der Ashley schaden will? Oder vielleicht Ihnen und Ihrem Mann?“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ashley oder ich irgendwelche Feinde haben. Auch bei Stafford glaube ich das nicht, aber er ist ein einflussreicher Mann. Ich meine, ihm wurde schon Г¶fter gedroht, aber es ist schwer zu sagen, ob das ernst zu nehmen ist.“

„Bisher hat noch niemand LГ¶segeld gefordert?“

Jetzt stand ihr der blanke Schrecken ins Gesicht geschrieben.

„Denke Sie, dass es darum geht?“

„Nein, nein. Ich will nur nichts Гјbersehen. Ich habe keinen konkreten Verdacht. Diese Fragen sind nur Routine.“

„Es gab keine LГ¶segeldforderung.“

„Sie verfГјgen offensichtlich Гјber einen gewissen Reichtum.“

Mia nickte.

„Meine Familie ist recht wohlhabend, aber das weiГџ eigentlich niemand. Alle denken, dass unser Geld von Stafford kommt.“

„Nur aus Neugierde – Гјber welchen Betrag sprechen wir denn in etwa?“, fragt Keri. In diesem Job war es manchmal unmГ¶glich, diskret zu sein.

„Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, wir haben das Strandhaus in Miami und eine Wohnung in San Francisco, aber beides lГ¤uft unter Firmennamen. Wir sind ziemlich aktiv auf dem Markt und haben zahlreiche InvestitionsgГјter. Sie haben ja die KunstgegenstГ¤nde hier im Haus gesehen. Insgesamt geht es um etwa fГјnfundfГјnfzig, vielleicht sechzig Millionen.“

„WeiГџ Ashley das?“

Die Frau zuckte mit den Schultern.

„GewissermaГџen schon. Sie kennt keine genauen Zahlen, aber sie weiГџ, dass wir viel besitzen und dass die Leute nicht alles wissen mГјssen. Stafford gibt sich gerne als ‚Mann des einfachen VolkesвЂ?.“

„Redet Ashley mit ihren Freunden Гјber diese Dinge?“

„Das glaube ich nicht. Wir haben ihr immer wieder gesagt, dass sie das nicht herumposaunen soll.“ Sie stГ¶hnte und fГјgte dann hinzu: „Gott, ich rede viel zu viel. Stafford wГ¤re bestimmt wГјtend auf mich.“

„FГјhren Sie beide eine glГјckliche Ehe?“

„Ja, natГјrlich.“

„Und kommen Sie mit Ashley gut zurecht?“

„Sie ist fГјr mich der wichtigste Mensch auf der ganzen Welt.“

„Okay. Und wie kommt Stafford mit ihr aus?“

„Sie kommen gut miteinander zurecht.“

„Gibt es irgendeinen Grund, warum sie von Zuhause weglaufen wГјrde?“

„Definitiv nicht. Sie ist nicht weggelaufen, da bin ich sicher.“

„Wie war ihre Laune in letzter Zeit?“

„Gut, stabil, glГјcklich.“

„Kein Liebeskummer?“

„Nein.“

„Drogen oder Alkohol?“

„Wer weiГџ das schon so genau, aber im Allgemeinen ist sie eine verantwortungsbewusste junge Frau. Diesen Sommer hat sie den Junior-Rettungsschwimmer gemacht. DafГјr musste sie jeden Morgen um fГјnf Uhr aufstehen. Sie ist kein launischer, fauler Teenager. AuГџerdem hat das neue Schuljahr vor zwei Wochen begonnen.“

„Gibt es dort irgendwelche Probleme?“

„Гњberhaupt nicht. Sie mag ihre Lehrer, kommt mit den anderen SchГјlern gut aus und wird dem MГ¤dchen-Basketball-Team beitreten.“

Keri sah ihr tief in die Augen. „Was glauben Sie, was passiert ist?“

Sie sah verwirrt aus. Ihre Lippe zitterte ein wenig.

„Ich weiГџ es nicht“, flГјsterte sie. Sie sah zur HaustГјr und wandte sich dann wieder Keri zu. „Ich will sie einfach nur wieder haben. Wo zur HГ¶lle bleibt Stafford nur?“

Wie auf sein Stichwort kam ein Mann um die Ecke. Es war Senator Stafford Penn. Keri hatte ihn schon oft im Fernsehen gesehen, aber als er jetzt vor ihr stand, spürte sie seine mächtige Ausstrahlung. Er war Mitte vierzig, muskulös und ziemlich groß, bestimmt zwei Meter. Er hatte blondes Haar, wie Ashley, markant geschnittene Gesichtszüge und leuchtend grüne Augen. Von ihm ging eine Anziehungskraft aus, die beinahe greifbar war. Keri schluckte, als er ihr die Hand hinhielt.

„Stafford Penn“, sagt er, auch wenn ihm klar war, dass sie das bereits wusste.

Sie lГ¤chelte. „Keri Locke. LAPD Pacific, Einheit fГјr vermisste Personen.“

Stafford gab seiner Frau einen flГјchtigen Kuss auf die Wange und setzte sich. Dann kam er direkt zur Sache.

„Wir wissen es sehr zu schГ¤tzen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, aber ich persГ¶nlich denke, dass wir bis morgen warten sollten.“

Mia sah ihn ungläubig an.

„Stafford…“

„Das Kind wird erwachsen“, fuhr er fort. „Ashley ist eine selbststГ¤ndige junge Frau. Das gehГ¶rt eben dazu. Wenn sie ein Junge wГ¤re, hГ¤tten wir uns damit schon vor Jahren herumschlagen mГјssen. Deswegen hatte ich Mia gebeten, sich zurГјckzuhalten. Ich bezweifle, dass dies die einzige Situation sein wird, in der wir um Hilfe rufen. Und ich mГ¶chte nicht, dass uns keiner mehr ernst nimmt, wenn wir wirklich Hilfe brauchen.“

„Dann glauben Sie, dass alles in Ordnung ist?“, fragte Keri.

Er senkte den Blick.

„Ich glaube, dass Teenager einfach so sind. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass der Tag gekommen ist. Sie steht jetzt auf eigenen FГјГџen. Ich wette, dass sie heute Nacht auftaucht. SpГ¤testens morgen frГјh, wahrscheinlich schwer verkatert.“

Mia starrte ihn fassungslos an.

„Es ist ein Montagnachmittag im laufenden Schuljahr, nicht Spring Break in Daytona“, schnappte sie. „AuГџerdem wГјrde Ashley das nicht tun.“

Stafford schГјttelte den Kopf.

„Ich bitte dich Mia, jeder muss mal Dampf ablassen“, sagt er. „Als ich fГјnfzehn war, habe ich einmal zehn Bier in drei Stunden getrunken. Ich habe buchstГ¤blich tagelang gekotzt. Und ich weiГџ noch, wie mein Vater sich Гјber mich lustig gemacht hat. Jetzt habe ich das GefГјhl, dass er irgendwie stolz auf mich war.“

Keri nickte nur still, als wäre das ganz normal. Es würde niemandem helfen, einem US Senator auf die Füße zu treten.

„Vielen Dank, Senator. Wahrscheinlich haben Sie Recht. Weil ich nun schon hier bin, kГ¶nnte ich mir vielleicht Ashleys Zimmer ansehen?“

Er zuckte mit den Schultern und deutete auf die Treppe. „Nur zu.“

Oben angekommen ging Keri den langen Flur entlang, betrat Ashleys Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Genau so hatte sie sich das Zimmer vorgestellt: Schickes Bett, passende Schränke und Tischchen, ein Poster von Adele und der legendären einarmigen Surferin Bethany Hamilton. Auf dem Nachttisch stand eine Retro-Lavalampe. Auf ihrem Kopfkissen lag ein Stofftier. Es war so alt und abgegriffen, dass Keri nicht mehr erkennen konnte, ob es ein Hund oder ein Schaf sein sollte.

Sie Г¶ffnete das MacBook auf dem Schreibtisch und stellte Гјberrascht fest, dass kein Passwort eingerichtet war.

Welcher Teenager würde seinen Laptop für jeden zugänglich auf dem Schreibtisch liegen lassen?

Im Internetverlauf waren noch die letzten Suchergebnisse gespeichert. Die meisten davon schienen zur Recherche für ein Biologieprojekt zu gehören, aber es waren auch ein paar Seiten von Model-Agenturen dabei – in Los Angeles, New York und Las Vegas. Dann fand Keri noch die Seite für ein Surfing-Turnier in Malibu und die Website einer lokalen Band namens Rave.

Entweder ist Ashley das durchschaubarste, langweiligste Mädchen aller Zeiten, oder sie hat diese Seiten absichtlich sichtbar gelassen, um ihre Eltern in Sicherheit zu wiegen.

Keris Instinkt sagte ihr, dass letztere die richtige Lösung war.

Sie setzte sich auf Ashleys Bett und schloss die Augen. Sie versuchte sich in das Mädchen hineinzuversetzen, schließlich war sie auch einmal fünfzehn Jahre alt gewesen. Außerdem hoffte sie immer noch, eines Tages auch eine Tochter in diesem Alter zu haben. Nach zwei Minuten öffnete sie wieder die Augen und sah sich mit einem frischen Blick um. Sie sah sich jedes Regal einzeln an, in der Hoffnung etwas Besonderes zu finden.

Sie wollte gerade aufgeben, als ihr Blick auf ein Mathematikbuch fiel. Algebra Klasse 9

Hatte Mia nicht gesagt, dass sie in die zehnte Klasse ging? Hatte ihre Freundin Thelma sie nicht in der Geometriestunde gesehen? Warum wГјrde sie ein altes Mathematikbuch behalten? Vielleicht, um Stoff nachzuholen?

Keri nahm das Buch vom Regal und begann darin zu blättern. Kurz bevor sie es wieder ablegen wollte, fiel ihr auf, dass ziemlich weit hinten zwei Seiten zusammengeklebt waren. Dazwischen war etwas Hartes verborgen.

Keri schälte behutsam die Seiten auseinander, bis es auf den Boden fiel. Sie hob es auf. Es war ein überzeugend gut gefälschter Führerschein mit Ashleys Gesicht darauf.

Ashlynn Penner, laut Geburtsdatum zweiundzwanzig Jahre alt.

Keri war jetzt überzeugt, dass sie auf der richtigen Spur war. Sie sah sich weiter um. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, bis die Penns unruhig werden würden. Nach weiteren fünf Minuten fand sie noch etwas. Tief in einem Tennisschuh versteckt fand sie die Hülse einer abgeschossenen 9mm Patrone. Sie steckte sie zusammen mit dem gefälschten Führerschein in eine durchsichtige Plastiktüte für Beweismaterialien und verließ das Zimmer. Mia Penn kam ihr gerade im Flur entgegen, als sie hinter sich die Tür schloss. Keri sah ihr an, dass etwas geschehen war.

„Ashleys Freundin Thelma hat gerade angerufen. Sie hat mit ein paar anderen Leuten Гјber Ashleys Verschwinden gesprochen und sie sagt, dass ein MГ¤dchen namens Miranda Sanchez gesehen hat, wie Ashley bei dem Hundepark in Main Street in einen schwarzen Van gestiegen ist. Sie sagt, dass sie nicht genau sehen konnte, ob Ashley freiwillig eingestiegen ist, oder ob sie hineingezogen wurde. Sie hat sich nichts dabei gedacht, bis sie gehГ¶rt hat, dass Ashley vermisst wird.“

Keri bemГјhte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, auch wenn ihr Blutdruck deutlich angestiegen war.

„Kennen Sie jemanden, der einen schwarzen Van besitzt?“

„Nein.“

Keri ging entschlossen auf die Treppe zu. Mia Penn folgte ihr.

„Mia, rufen Sie bitte wieder auf dem Revier an, die gleiche Nummer, unter der Sie mich erreicht haben. Sagen Sie dort Bescheid, dass Sie in meinem Auftrag anrufen. Vermutlich werden Sie mit einem Mann namens Suarez verbunden. Geben Sie Ashleys Beschreibung durch, einschlieГџlich der Kleidung, die sie heute getragen hat. Geben Sie ihm auГџerdem die Namen und Telefonnummern von Ashleys Freunden: Thelma, Miranda, Denton Rivers, alle. Und sagen Sie ihm, dass er mich anrufen soll.“

„Warum brauchen Sie diese Informationen?“

„Weil wir sie befragen werden.“

„Sie machen mich nervГ¶s. Das ist kein gutes Zeichen, oder?“, fragte Mia.

„Wahrscheinlich hat das alles nichts zu bedeuten, aber wir sollten es trotzdem ГјberprГјfen.“

„Was kann ich tun?“

„Sie bleiben hier, falls Ashley anruft oder nach Hause kommt.“

Sie gingen nach unten. Keri sah sich um.

„Wo ist Ihr Mann?“

„Er musste noch einmal ins BГјro gehen.“

Keri biss sich auf die Zunge und ging zur TГјr.

„Wohin gehen Sie?“, rief Mia ihr hinterher.

„Ich mache mich auf die Suche nach Ihrer Tochter“, rief Keri zurГјck.




KAPITEL DREI


Montag

FrГјher Abend



Als Keri zu ihrem Wagen eilte, versuchte sie die Hitze, die vom Asphalt aufstieg, zu ignorieren. Schon nach einer Minute standen ihr Schweißperlen auf der Stirn. Sie fluchte leise, als sie Rays Nummer wählte.

Ich bin verdammte sechs Blocks vom Meer entfernt, es ist Mitte September – wann lässt diese verdammte Hitze endlich nach?

Es klingelte eine Weile, bevor Ray antwortete.

„Was?“, fragte er genervt.

„Du musst kommen. Main Street, gegenГјber West Venice High.“

„Wann?“

„Jetzt, Raymond.“

„Warte kurz.“ Sie hГ¶rte, wie er sich bewegte und etwas murmelte. Es klang, als wГ¤re er nicht alleine. Als er sich wieder meldete, war er scheinbar in einem anderen Raum.

„Nun. Ich war gerade – beschГ¤ftigt.“

„Dann musst du dich eben ent-schГ¤ftigen, Detective. Wir haben einen Fall zu lГ¶sen.“

„Geht es um diesen Teenager in Venice?“, fragte er verГ¤rgert.

„Ganz genau. Und den Tonfall kannst du dir sparen. AuГџer natГјrlich, du hГ¤ltst es nicht fГјr wichtig, dass die Tochter eines US Senators vermisst wird, seit sie in einen schwarzen Van gestiegen ist.“

„GГјtiger Himmel! Warum hat die Mutter nicht dazu gesagt, dass es sich um die Familie eines Senators handelt?“

„Weil er es nicht wollte. Wie du glaubt er, dass alles in Ordnung ist.“

Keri war jetzt bei ihrem Auto angekommen. Sie aktivierte die Lautsprecherfunktion, legte das Handy auf den Beifahrersitz und stieg ein. Als sie losfuhr, erzählte sie Ray alles, was sie wusste. Sie berichtete von dem gefälschten Führerschein, der Patronenhülse, der Zeugin, die Ashley – eventuell gegen ihren Willen – in einem schwarzen Van verschwinden sah und von ihrem Plan, alle Beteiligten zu befragen. Als sie gerade fertig war, brummte ihr Handy. Sie warf einen kurzen Blick auf den Bildschirm.

„Suarez ruft an. Ich werde ihn Гјber die Einzelheiten informieren. Alles klar soweit? KГ¶nnen wir uns treffen? Oder bist du immer noch beschГ¤ftigt?“

„Ich gehe gerade zum Auto. Ich bin in fГјnfzehn Minuten da“, erwiderte er ohne auf ihre Stichelei einzugehen.

„Sag ihr, dass es mir leid tut, wer auch immer die Dame war“, sagte Keri sarkastisch.

„Sie ist nicht besonders zart besaitet“, entgegnete Ray.

„Warum Гјberrascht mich das nicht?“

Dann nahm sie den anderen Anruf an, ohne sich von Ray zu verabschieden.



*



Fünfzehn Minuten später gingen Keri und Ray genau die Stelle ab, an der Ashley Penn möglicherweise entführt worden war. Sie konnten nichts Auffälliges finden. Der Hundepark, der direkt am Straßenrand lag, war gut besucht, fröhliche Besitzer riefen Namen wie Hoover, Speck, Conrad und Delilah.

Reiche, alternative Hundebesitzer. Ach ja, Venice.

Keri versuchte diese belanglosen Gedanken zu vertreiben. Sie musste sich jetzt konzentrieren, auch wenn es nicht viel gab, worauf sie sich konzentrieren konnte. Ray schien es genauso zu gehen.

„Vielleicht ist sie einfach weggelaufen?“, grГјbelte er.

„Ich schlieГџe es nicht aus“, sagte Keri. „Sie ist definitiv nicht die unschuldige kleine Prinzessin, fГјr die ihre Mutter sie hГ¤lt.“

„Das sind sie nie.“

„Was auch immer sich zugetragen hat, es ist gut mГ¶glich, dass sie selbst eine entscheidende Rolle dabei spielt. Umso mehr wir Гјber sie herausfinden, desto besser kГ¶nnen wir die Situation einschГ¤tzen. Wir mГјssen unbedingt mit ein paar Leuten reden, die uns mehr als die offizielle Version erzГ¤hlen kГ¶nnen. Was hat es zum Beispiel mit diesem Senator auf sich? Er fand es jedenfalls nicht gut, dass ich meine Nase in Familienangelegenheiten steckte.“

„Hast du eine Ahnung, warum?“

„Noch nicht. Ich habe einfach das GefГјhl, dass er uns etwas verheimlichen will. Ich habe noch nie einen Vater getroffen, den das Verschwinden seines Kindes so kalt lГ¤sst. Er hat erzГ¤hlt, wie er sich als Teenager besoffen hat. Als wollte er von irgendetwas anderem ablenken.“

Ray verzog das Gesicht. „Zum GlГјck hast du ihn nicht darauf angesprochen. Wir kГ¶nnen wirklich keinen Feind gebrauchen, der mit Senator angesprochen wird.“

„Das lГ¤sst mich kalt.“

„Das sollte es aber nicht“, entgegnete Ray. „Ein Wort zu Beecher oder Hillman und du bist Vergangenheit.“

„Ich war vor fГјnf Jahren schon einmal Vergangenheit.“

„Ich bitte dich, Keri.“

„Du weiГџt genau, dass es stimmt.“

„Fang besser nicht damit an.“

Keri zögerte, sah ihn kurz an und wendete sich dann wieder dem Hundepark zu. Wenige Meter vor ihr wälzte sich gerade ein junger brauner Hund im Dreck.

„Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“, fragte sie.

„Ich weiГџ nicht.“

„Als es damals passiert ist – du weiГџt schon.“

„Evie?“

Keris Herz setzte aus, als sie den Namen ihrer Tochter hörte.

„Kurz nachdem es geschehen ist, wollte ich krampfhaft noch ein Kind bekommen. Ich habe es zwei oder drei Monate lang versucht. Stephen wollte das nicht.“

Ray hörte schweigend zu.

„Eines Morgens bin ich aufgewacht und habe mich selbst dafГјr gehasst. Ich fГјhlte mich wie jemand, dem ein Hund entlaufen ist, und der sofort zum Tierheim rennt um einen Ersatz zu holen. Ich fГјhlte mich schwach und feige, als wГјrde ich mich nur noch fГјr mich selbst interessieren, anstatt mich darauf zu konzentrieren, was wirklich wichtig war. Ich hatte Evie einfach so aufgegeben, anstatt um sie zu kГ¤mpfen.“

„Keri, du musst endlich aufhГ¶ren, dich selbst zu bestrafen. Man kГ¶nnte fast meinen, du kГ¤mpfst gegen dich selbst.“

„Ray, ich kann sie immer noch spГјren. Sie lebt. Ich weiГџ nicht wo und wie, aber sie lebt.“

Er drГјckte ihre Hand.

„Ich weiГџ.“

„Sie ist jetzt dreizehn.“

„Ich weiГџ.“

Sie gingen eine Weile stumm nebeneinander her. Als sie an die Kreuzung bei Westminster Road kamen, räusperte Ray sich.

„Okay“, begann er. An seinem Tonfall konnte sie hГ¶ren, dass es wieder um den Fall ging. „Wir werden jedem noch so kleinen Hinweis nachgehen, aber es geht hier um die Tochter eines Senators. Wenn sie nicht bald auftaucht, kann es hГ¤sslich werden. Die Bundespolizei wird sich bald einmischen und die Presse wird auch Wind kriegen. Wenn wir bis morgen frГјh keinen Anhaltspunkt haben, kommen wir in Teufels KГјche.“

Wahrscheinlich hatte er recht, aber Keri war das egal. Heute war heute und morgen wГјrde sie sich um morgen kГјmmern. Jetzt musste sie einen klaren Kopf bewahren.

Sie seufzte und schloss die Augen. Da Ray sie jetzt schon Гјber ein Jahr kannte, mischte er sich besser nicht ein, wenn sie sich konzentrierte.

Nach dreißig Sekunden öffnete sie die Augen wieder und sah sich um. Dann zeigte sie auf ein kleines Geschäft auf der anderen Straßenseite.

„Da drГјben“, sagt sie und setzte sich in Bewegung.

In diesem Teil der Venice Canals, zwischen Washington Boulevard und Rose Avenue, lebte eine interessante Mischung von Menschen. Im Süden befanden sich die edlen Villen und Strandhäuser sowie elegante und teure Läden, im Norden hingegen lagen kommerzielle Geschäfte, gepaart mit schmuddeligen Häuserecken und der Surfer- und Skater-Szene am Strand.

Es war kein Geheimnis, dass sich hier einige Gangs tummelten. Sie waren besonders bei Nacht aktiv, in der Nähe des Strandes. Der LAPD Pacific waren vierzehn aktive Gangs in Venice bekannt, von denen mindestens fünf in genau dieser Straße verkehrten. Darunter waren eine schwarze Gang, zwei lateinamerikanische, eine White Power Biker-Gang und eine, die hauptsächlich aus Drogenabhängigen und Waffenhändlern bestand. Diese Gruppen machten den Barbesitzern, den Nutten, verlaufenen Touristen, Obdachlosen und Anliegern das Leben schwer.

Daher hatten sich hier auch ganz unterschiedliche Geschäfte angesammelt – von Hipster-Lokalen über Henna-Tattoo Salons und medizinische Marihuana-Apotheken bis zu dem Laden, vor dem Keri jetzt stand: eine Kautions-Pfandleihe.

Sie befand sich im zweiten Stock eines neu renovierten Gebäudes, direkt über einer Saft-Bar.

„Sieh dir das mal an“, sagte sie. Гњber dem Eingang hin ein Schild, das Briggs Kautions-Pfandleihe verkГјndete.

„Was ist damit?“, fragte Ray.

„Genau Гјber dem Schild, bei dem Wort ‚KautionвЂ?.“

Ray sah genauer hin, kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können und erkannte schließlich eine winzige Sicherheitskamera. Sie zeigte genau auf die Kreuzung und den Hundepark, wo Ashley auf den schwarzen Van getroffen war.

„Ausgezeichnet“, sagte Ray.

Keri trat einen Schritt zurГјck und sah sich um. Jetzt waren vermutlich mehr Leute auf der StraГџe, als vor ein paar Stunden noch. Dennoch war dies keine besonders ruhige Gegend.

„Wenn du jemanden entfГјhren wolltest, wГјrdest du es ausgerechnet hier tun?“

Ray schГјttelte den Kopf.

„Ich bin eher der Typ dunkle Gasse.“

„Wer wГ¤re so dreist, am helllichten Tag an einer belebten Kreuzung ein MГ¤dchen zu schnappen?“

„Lass es uns herausfinden“, sagte Ray entschlossen und betrat das Treppenhaus. Die TГјr zu Briggs Kautions-Pfandleihe stand offen. Ein groГџer, dГјster dreinblickender Mann saГџ in einem Sessel und blГ¤tterte in einem Schusswaffenmagazin.

Als Keri und Ray den Raum betraten, blickte er auf, beschloss, dass sie ungefährlich waren, und deutete auf den hinteren Teil des Raumes. Ein ungepflegt wirkender Mann mit langen Haaren und Bart saß an einem Schreibtisch und telefonierte. Er winkte sie heran. Keri und Ray setzten sich ihm gegenüber an den Tisch und warteten darauf, dass er das Telefonat beendete.

„Das Problem sind nicht die zehn Prozent, sondern die Sicherheit fГјr die Gesamtsumme. Sie brauchen ein Haus, ein Auto oder etwas anderes, das auf Ihren Namen lГ¤uft.“

Keri hörte die Person am anderen Ende der Leitung flehen, aber der Langhaarige gab sich unbeeindruckt.

Wenig später legte er auf. Dann sah er Keri und Ray an.

„Stu Briggs“, sagt er. „Was kann ich fГјr Sie tun, Detectives?“

Keri war erstaunt. Sie hatten sich noch nicht vorgestellt.

Bevor sie etwas antworteten konnten, sah der Kerl Ray intensiv an und rief: „Ray Sands! Der Sandmann! Ich habe Ihren letzten Kampf gesehen, gegen diesen kleinen Dreckskerl – wie hieГџ er gleich?“

„Lenny Jack.“

„Ja, genau. Das war er. Lenny Jack – Jack-Attack. Ihm fehlte ein Finger, oder? Der Kleine an der rechten Hand.“

„Der fehlte erst nach dem Kampf.“

„Ist auch egal. Ich war so sicher, dass Sie gewinnen wГјrden. Seine Beine waren aus Gummi, sein Gesicht ein einziger Blutklumpen. Der konnte nicht mehr gerade stehen. Noch ein Treffer und Sie hГ¤tten ihn ausgeknipst.“

„Das dachte ich auch“, stimmte Ray zu. „Deswegen habe ich vielleicht nicht mehr richtig aufgepasst. Aber scheinbar hatte er noch ein Ass im Г„rmel, mit dem keiner mehr rechnete.“

Der Mann zuckte mit den Schultern.

„Scheinbar. Ich habe an diesem Abend viel Geld verloren.“ Dann wurde ihm klar, dass sein Verlust nichts gegen Rays Verlust war. „Naja, so viel war es auch nicht. Verglichen mit Ihrem Auge. Sieht aber gut aus, ich schГ¤tze, den meisten fГ¤llt es gar nicht auf.“

Daraufhin folgte eine lange, unbequeme Stimme. Stu versuchte es schlieГџlich noch einmal.

„Jetzt sind Sie also ein Cop. Warum genau sitzt der Sandmann heute mit der hГјbschen Dame an meinem Tisch?“

Keri gefiel die Bezeichnung nicht, aber sie hielt sich zurück. Sie hatten jetzt größere Probleme.

„Wir brauchen die Aufzeichnungen Ihrer Sicherheitskamera von heute Nachmittag“, sagte Ray. „Genauer gesagt, zwischen 2:45 und 4 Uhr.“

„Kein Problem“, antwortete Stu, als wГ¤re es eine ganz alltГ¤gliche Bitte. Die Sicherheitskamera war nГјtzlich, angesichts der Kundschaft sogar nГ¶tig. Daher wurde das Bild nicht nur auf einen Monitor im Haus Гјbertragen, sondern auch auf einer Festplatte gespeichert. Per Weitwinkel zeichnete die Kamera die gesamte Kreuzung zwischen Main und Westminster auf. Die QualitГ¤t des Videos war ausgezeichnet.

Keri und Ray saГџen im Hinterzimmer und sahen sich die Aufzeichnung auf einem Computer an. Der Hundepark in Main Street war etwa einen halben Block weit einzusehen. Sie hofften, dass das, was Ashley Penn zugestoГџen war, sich in diesem Bereich abgespielt hatte.

Bis 3:05 Uhr war nichts Nennenswertes zu beobachten. Dann erschienen die ersten SchГјler und SchГјlerinnen auf der StraГџe.

Um 3:08 Uhr erschien Ashley Penn. Da Ray sie nicht sofort erkannte, machte Keri ihn auf sie aufmerksam. Sie trug einen Rock und ein enges Oberteil und ging selbstbewusst die Straße entlang. Plötzlich tauchte ein schwarzer Van auf und hielt direkt neben ihr an. Die Fenster waren tiefschwarz getönt, dunkler als es gesetzlich zugelassen war. Das Gesicht des Fahrers war nicht zu erkennen, er hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Die Sonnenblenden waren nach unten geklappt und die grelle Nachmittagssonne machten es fast unmöglich irgendetwas im Auto auszumachen.

Ashley blieb stehen und sah in den Van. Der Fahrer schien mit ihr zu reden. Sie sagte etwas und ging näher heran. In diesem Moment öffnete sich die Beifahrertür, und als sie sich in den Wagen hineinlehnte, verschwand sie plötzlich darin. Sie konnten nicht deutlich erkennen, ob Ashley freiwillig in den Wagen gestiegen war oder hineingezogen wurde. Wenige Augenblicke später reihte sich der Van in den Verkehr ein. Langsam, unauffällig. Nichts an seinem Verhalten war außergewöhnlich.

Sie sahen sich die Szene noch einmal in normaler Geschwindigkeit an, dann ein drittes Mal in Zeitlupe. SchlieГџlich machte Ray ein ratloses Gesicht.

„Ich weiГџ nicht, ich kann es immer noch nicht richtig sehen. Fest steht nur, dass sie in diesem Van weggefahren ist, ob freiwillig oder nicht.“

Keri konnte nicht widersprechen. Die Aufnahme war leider ziemlich unschlГјssig. Aber irgendetwas stimmte nicht. Sie wusste nur nicht, was es war. Sie spulte noch einmal an die Stelle, an der der Van am besten zu sehen war. Dann pausierte sie das Bild. Der Van war jetzt komplett im Schatten, und auch wenn man immer noch nicht in den Van blicken konnte, war jetzt doch etwas anderes zu sehen.

„Siehst du das?“, fragt sie.

Ray nickte.

„Das Nummernschild ist abmontiert“, sagt er. „Das fГ¤llt auf jeden Fall in die Kategorie ‚verdГ¤chtigвЂ?.“

In diesem Moment klingelte Keris Handy. Es war Mia Penn. Ohne auch nur Hallo zu sagen, redete sie los.

„Ashleys Freundin Thelma hat mich gerade angerufen. Sie sagt, dass sie gerade einen Anruf von Ashley bekommen hat, aber es war niemand dran. Sie hat nur Geschrei und Musik im Hintergrund gehГ¶rt. Sie konnte nicht genau verstehen, was gesagt wurde, aber sie glaubt die Stimme von Denton Rivers erkannt zu haben.“

„Ashleys Freund?“

„Ja. Ich habe ihn sofort angerufen und gefragt, ob Ashley sich bei ihm gemeldet hat, ohne Thelmas Geschichte zu erwГ¤hnen. Er will nichts von ihr gehГ¶rt oder gesehen haben, aber er klang irgendwie nervГ¶s. Dieser Drake-Song Summer Sixteen lief gerade im Hintergrund. Also habe ich Thelma angerufen und gefragt, ob das der Song war, den sie gehГ¶rt hat. Als sie das bestГ¤tigt hat, habe ich sofort bei Ihnen angerufen, Detective. Denton Rivers hat das Handy und ich vermute, dass er auch mein kleines MГ¤dchen hat.“

„Okay Mia, gut gemacht! Und danke, dass Sie mich gleich informiert haben. Sie mГјssen jetzt ganz ruhig bleiben. Sobald wir aufgelegt haben, schicken Sie mir bitte Dentons Adresse. Und denken Sie daran, es kГ¶nnte eine ganz harmlose ErklГ¤rung geben.“

Sie legte auf und sah Ray an. Sei Blick lieГџ vermuten, dass sie jetzt das gleiche dachten. Kurz darauf vibrierte ihr Handy. Es war die Nachricht mit Denton Rivers Adresse und Keri schickte sie direkt an Ray weiter.

„Los jetzt, wir sollten uns beeilen“, sagte sie und rannte zu ihrem Auto. „Das hier ist absolut nicht harmlos!“





KAPITEL VIER


Montag

FrГјher Abend



Zehn Minuten später fuhr Keri langsam an Denton Rivers Haus vorbei. Sie sah es sich genau an und parkte schließlich einen Block weiter. Ray war im Auto hinter ihr. Sie spürte ein Kribbeln im Bauch, das nichts Gutes verhieß.

Was, wenn Ashley in diesem Haus ist und er ihr etwas angetan hat?

In der Straße befanden sich hauptsächlich eingeschossige Reihenhäuser, die viel zu nahe aneinander standen. Weit und breit gab es keine Bäume oder Grünflächen, die winzigen Vorgärten waren längst von der Sonne versengt. Denton und Ashley kamen aus sehr unterschiedlichen Welten. In diesem Teil der Stadt gab es keine Prachtvillen.

Keri und Ray gingen zusammen die StraГџe herunter. Es war kurz nach sechs. Die Sonne hatte bereits ihren langen, langsamen Abstieg nach Westen Гјber dem Ozean begonnen, aber richtig dunkel wГјrde es erst in ein paar Stunden werden.

Als sie vor Dentons Haus standen, hörte sie laute Musik.

Sie und Ray gingen leise zur Haustür. Jetzt konnte man eine wütende, ernste Männerstimme herumschreien hören. Ray holte seine Pistole aus dem Gürtel und gab ihr ein Zeichen, dass sie zur Hintertür gehen sollte und hob dabei einen Finger in die Höhe, was bedeuten sollte, dass sie in genau einer Minute eindringen würden. Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Uhr, nickte, zog ebenfalls ihre Waffe und drückte sich dann an der Hauswand entlang nach hinten.

Ray war der höhere Detective, daher war er gewöhnlich der Vorsichtigere, wenn sie sich Zugang zu einem fremden Haus verschafften. In diesem Fall hielt er es aber für eine so dringende Angelegenheit, dass er nicht auf einen Durchsuchungsbefehl warten konnte. Ein Mädchen wurde vermisst, ein möglicher Verdächtiger war im Haus, wütend und lautstark. Sein Eindringen war gerechtfertigt.

Keri überprüfte das Gartentor. Es war nicht verschlossen. Sie öffnete es nur einen kleinen Spalt und drückte sich durch, damit es nicht quietschte. Es war unwahrscheinlich, dass man sie im Haus hören konnte, aber sie wollte auch kein Risiko eingehen. Auf der Rückseite angekommen hielt sie sich weiterhin nahe an der Wand und konzentrierte sich auf mögliche Bewegungen. Ihr fiel ein heruntergekommener Schuppen am Ende des Grundstücks auf, dessen rostige Wellblechtür aussah, als würde sie jeden Augenblick abfallen.

Sie schlich sich auf die Veranda und hielt einen Augenblich inne. Sie lauschte auf Ashleys Stimme, aber sie konnte sie nicht hören.

Durch die angelehnte FliegentГјr konnte sie in eine KГјche im 70er Stil mit einem gelben KГјhlschrank einsehen. Vom Wohnzimmer aus fiel ein Schatten in den Gang, der Head-bangend zur Musik brГјllte.

Immer noch keine Spur von Ashley.

Keri sah auf ihre Uhr – es war soweit.

Da hörte sie schon ein lautes Pochen an der Haustür. Gleichzeitig riss sie die Fliegentür auf und wartete auf das nächste Pochen, bevor sie sie hinter sich wieder zuzog. Lautlos bewegte sie sich durch die Küche und den Gang entlang. In jedes Zimmer, an dem sie vorbeikam, warf sie einen kurzen Blick.

Ray trommelte unterdessen weiterhin mit der Faust gegen die Haustür, lauter und lauter. Plötzlich hörte Denton Rivers auf zu tanzen und ging zur Tür. Keri drückte sich an den Türrahmen des Wohnzimmers. Sie konnte sein Seitenprofil sehen.

Er sah überrascht aus. Er war ein attraktiver junger Mann, hatte kurz geschnittenes, braunes Haar, blaue Augen und eine durchtrainierte Figur, die eher an einen Wrestler erinnerte, als an einen Highschool-Schüler. In jeder anderen Situation hätte er wahrscheinlich gut ausgesehen, aber jetzt war sein Gesicht wutverzogen, seine Augen blutunterlaufen und an seiner Schläfe prangte eine große Platzwunde.

Als er die TГјr schlieГџlich Г¶ffnete, hielt Ray ihm seine Polizeimarke ins Gesicht.

„Ray Sands, LAPD, Einheit fГјr vermisste Personen“, sagte er mit tiefer, fester Stimme. „Ich habe ein paar Fragen Гјber Ashley Penn.“

Panik machte sich auf Dentons Gesicht breit. Keri kannte diesen Ausdruck. Er wГјrde gleich versuchen, wegzulaufen.

„Ich will dir keinen Г„rger machen, ich mГ¶chte nur mit dir reden“, sagte Ray beschwichtigend. Er hatte wohl denselben Verdacht.

Keri bemerkte etwas Schwarzes in seiner rechten Hand, konnte es aber nicht richtig erkennen, weil sein Körper ihre Sicht blockierte. Sie hob ihre Waffe und zielte auf seine Schulter. Dann ließ sie die Sicherung zurückschnappen.

Ray sah das aus dem Augenwinkel und schaute auf Dentons Hände. Ray musste es besser sehen können und hatte seine eigene Waffe noch nicht erhoben.

„Ist das die Fernbedienung fГјr die Musik, Denton?“, fragte er laut.

„M-hm.“

„Lass sie fallen.“

Er zögerte einen Augenblich, dann nickte er. Als sie auf den Boden fiel, konnte auch Keri sehen, dass es eine Fernbedienung war.

Ray steckte seine Waffe wieder ein und Keri tat das gleiche.

Als Ray einen Schritt auf ihn zumachte, drehte Denton Rivers sich um und war erstaunt, Keri im Gang stehen zu sehen.

„Wer sind Sie?“, fragte er.

„Detective Keri Locke. Wir sind Partner“, sagt sie und wies mit dem Kinn auf Ray. „Nette Wohnung hast du hier, Denton.“

Als sie ins Wohnzimmer gingen, fiel ihr Blick auf eine Flasche Whiskey, die direkt neben einem Bluetooth-Lautsprecher auf dem Tisch stand. Keri schaltete den Lautsprecher aus und sofort war es still im Raum. Sie sah sich noch einmal genauer um.

Auf dem Teppich war ein Blutfleck. Sie prägte ihn sich genau ein, sagt aber nichts dazu.

Auf Dentons rechtem Unterarm waren tiefe Kratzer, vielleicht von Fingernägeln. Die Wunde an seiner Schläfe blutete nicht mehr, aber sie war noch sehr frisch. Die Scherben eines gerahmten Fotos von Ashley und ihm lagen auf dem Boden.

„Wo sind deine Eltern?“

„Meine Mutter ist auf der Arbeit.“

„Und dein Vater?“

„Der hat im Grab zu tun.“

„Willkommen im Club“, sagt Keri kГјhl. „Wir suchen nach Ashley Penn.“

„Die kann mich mal.“

„WeiГџt du, wo wir sie finden kГ¶nnen?“

„Nein, und es ist mir auch scheiГџegal. Mit der bin ich fertig.“

„Ist sie hier?“

„KГ¶nnen Sie sie vielleicht irgendwo sehen?“

„Ist ihr Handy hier?“, fragte Keri nachdrГјcklich.

„Nein.“

„Wem gehГ¶rt das pinke Handy in deiner Tasche dann?“

Er zГ¶gerte einen Augenblick, bevor er antwortete. „Ich habe gesagt, ich habe Ashleys Handy nicht. Sie sollten jetzt gehen.“

Ray trat bedrohlich nahe vor ihn und hielt ihm die Hand vor die Brust. „Her mit dem Handy.“

Denton schluckte schwer, dann fischte er das Handy aus seiner Hosentasche und legte es in Rays Hand. Es hatte ein pinkes Cover und sah ziemlich teuer aus.

„GehГ¶rt das Ashley?“, fragte Ray noch einmal.

Der Junge antwortete nicht, sondern sah ihn nur herausfordernd an.

„Ich kann einfach ihre Nummer wГ¤hlen, dann sehen wir, ob es klingelt“, sagte Ray, „oder du redest endlich.“

„Okay, es gehГ¶rt Ashley. Na und?“

„Du setzt dich jetzt auf diese Couch und gibst keinen Mucks von dir“, sagt Ray. Dann wandte er sich an Keri. „Tu, was du tun musst.“

Keri begann, das Haus zu durchsuchen. Es gab drei kleine Schlafzimmer, ein winziges Bad und einen begehbaren Schrank. Alles sah normal und unauffällig aus. Nirgends ein Zeichen von Kampf oder Gefangenschaft. Sie fand auch die Leiter zum Dachgeschoss, die mit einem lauten Knarren herunterklappte. Sie kletterte vorsichtig hinauf. Als sie oben ankam, leuchtete sie mit ihrer Taschenlampe in alle Ecken. Die Decke war niedrig und schräg, sie konnte kaum aufrecht stehen. Querbalken machten es ihr selbst auf allen Vieren schwer, voran zu kommen.

Dort oben gab es nichts auГџer zehn Jahre alte Spinnweben, ein paar verstaubte Kisten und eine riesige Holzkiste an der gegenГјberliegenden Wand.

Warum wurde dieser schwerste, unheimlichste Gegenstand am weitesten geschleppt? Es dГјrfte ziemlich anstrengend gewesen sein, diese Truhe da hinter zu bekommen.

Keri seufzte. Wahrscheinlich nur, um ihr das Leben schwer zu machen.

„Ist alles in Ordnung da oben?“, rief Ray aus dem Wohnzimmer.

„Ja, ich sehe mir nur noch den Dachboden an.“

Auf Händen und Knien bahnte sie sich einen Weg durch das Dachgeschoss. Verschwitzt und voller Spinnweben kam sie schließlich zu der Truhe. Als sie sie öffnete und mit ihrer Taschenlampe hineinleuchtete, war sie erleichtert, keine Leiche darin zu finden. Im Gegenteil. Die Truhe war leer.

Sie schloss den Deckel wieder und machte sich auf den Weg zurГјck zur Treppe.

Unten im Wohnzimmer hatte Denton sich tatsГ¤chlich nicht gerГјhrt. Ray hatte sich einen KГјchenstuhl geholt, ihn direkt vor ihm platziert und sich rittlings darauf gesetzt. „Irgendwas VerdГ¤chtiges gefunden?“, fragte er, als sie den Raum betrat.

Sie schГјttelte den Kopf. „Wissen wir inzwischen, wo Ashley ist, Detective Sands?“

„Noch nicht, aber wir arbeiten daran. Richtig, Mr. Rivers?“

Denton tat, als hätte er die Frage nicht gehört.

„Kann ich mir mal ihr Handy ansehen?“, fragte Keri.

Ray gab es ihr. „Es ist gesperrt. Wir werden unseren Techniker um Hilfe bitten mГјssen.“

Keri sah den Jungen an. „Wie lautet ihr Passwort, Denton?“

Er sah sie spГ¶ttisch an. „Keine Ahnung.“

Keris Blick sagte deutlich, dass sie ihm nicht glaubte. „Ich werde die Frage noch einmal ganz hГ¶flich wiederholen. Wie lautet Ashleys Passwort?“

Er zГ¶gerte. SchlieГџlich sagte er: „Honey.“

„Na also. Im Garten habe ich einen Schuppen gesehen, den werde ich mir jetzt ansehen.“

Denton warf einen nervösen Blick über die Schulter, sagte aber nichts.

Draußen stellte Keri fest, dass der Schuppen mit einem alten Vorhängeschloss gesichert war. Sie sah sich um. Eine rostige Schaufel war alles, was sie auf die Schnelle finden konnte. Sie griff sich die Schaufel und schlug damit das Schloss ab. Durch ein Loch im Dach fiel etwas Licht in den Schuppen. Ashley war nicht dort, nur jede Menge alte Farbdosen, Werkzeuge und anderes Gerümpel. Sie wollte gerade wieder zum Haus gehen, als ihr ein ganzer Stapel von KFZ-Kennzeichen auf einem Regal auffiel. Sie beschloss, ihn aus der Nähe anzusehen. Der Stapel bestand aus sechs Nummernschildern, alle hatten aktuelle Plaketten.

Was hat er damit vor? Wir mГјssen sie untersuchen lassen.

Sie drehte sich um und wollte gehen, als ein WindstoГџ die TГјr zuschlug.

Jetzt war es etwas dunkler im Schuppen. Die plötzliche Dunkelheit verursachte einen Anflug von Klaustrophobie bei Keri. Sie atmete ein paarmal tief durch und riss die Tür wieder auf.

So muss es für Evie gewesen sein. Alleine in der Dunkelheit ohne zu wissen, was mit ihr geschieht. Ob mein kleines Mädchen das durchmachen musste? Es musste ein Albtraum sein.

Sie spürte einen Kloß im Hals, als sie sich zum hundertsten Mal vorstellte, wie Evie an einem Ort wie diesem eingesperrt wurde. Nächste Woche war die Entführung fünf Jahre her. Das würde ein schwerer Tag werden.

Seitdem war viel geschehen – sie hatte lange um ihre Ehe gekämpft. Doch mit der Hoffnung, Evie zu finden, schwanden auch ihre Chancen auf ein gemeinsames Leben. Nachdem sie und Stephen sich scheiden ließen, hatte er ein Sabbatjahr von seiner Professur für Kriminologie und Psychologie an der Loyola Marymount University genommen, mit der offiziellen Begründung unabhängige Recherchen durchzuführen. In Wahrheit hatte ihn die Verwaltung dazu gezwungen, weil seine Alkoholexzesse und seine Affären mit verschiedenen Studentinnen aufgefallen waren. Ihr Leben lag in Scherben, wohin sie auch sah. Schließlich musste sie ihrer größten Niederlage in die Augen blicken: man hatte ihre Tochter gestohlen und sie konnte ihr nicht helfen.

Keri wischte sich ein paar Tränen aus den Augen und ärgerte sich über sich selbst.

Okay, ich habe meine eigene Tochter aufgegeben, aber Ashley werde ich retten! ReiГџ dich zusammen, Keri!

Dann fiel ihr Ashleys Handy wieder ein. Sie aktivierte es direkt hier im Schuppen. Das Passwort Honey war richtig. Wenigstens damit hatte Denton sie nicht angelogen.

Sie ging zu ihren Fotos. Ashley hatte hunderte von Fotos gespeichert, die meisten davon hГјbsche kleine Selfies mit ihren Freunden oder mit Denton Rivers, sogar ein paar mit ihrer Mutter. Doch Keri fand auch ein paar privatere Bilder.

Ein paar Fotos waren in einer Bar aufgenommen worden, offensichtlich nach Ladenschluss. Sie zeigten Ashley und ihre Freunde halb besinnungslos, wie sie sich gegenseitig Alkohol einflößten und ihre Röcke hoben um ihre Tangas in die Kamera zu halten. Auf ein paar Fotos wurden auch Bongs geraucht und Joints gedreht. Auf dem Tisch standen Schnapsflaschen.

Wen kannte Ashley, der ihr Zugang zu diesem Ort verschaffte? Wann wurden diese Fotos gemacht? Wieso wussten ihre Eltern nichts davon?

Dann erstarrte Keri. Auf zwei Fotos lag im Hintergrund eine 9mm Pistole. Einmal neben einem Päckchen Zigaretten auf dem Tisch, einmal auf dem Sofa neben einer Tüte Chips. Die nächsten Bilder zeigten Ashley irgendwo im Wald, wie sie auf eine Dose Cola zielte.

Was hat das zu bedeuten? War das Ashleys Art, SpaГџ zu haben? Wollte sie lernen, sich selbst zu verteidigen? Vor wem?

Keri bemerkte, dass Denton Rivers in den letzten drei Monaten immer seltener auf ihren Fotos zu sehen war. Dafür war immer öfter ein extrem gutaussehender junger Mann mit einer langen, blonden Mähne zu sehen. Auf vielen Bildern trug er kein T-Shirt und zeigte seinen durchtrainierten Oberkörper. Er schien sehr stolz auf seinen Sixpack zu sein. Aber er ging nicht mehr auf die Schule, so viel stand fest. Keri schätzte ihn auf Anfang zwanzig.

Ob er ihnen Zugang zu der Bar verschafft hatte?

Ashley hatte zu dieser Zeit auch einige erotische Fotos von sich selbst gemacht. Einige zeigten sie in Unterwäsche, andere oben ohne, wie sie sich verführerisch streichelte. Auch wenn ihr Gesicht auf den Bildern nicht zu sehen war, war Keri dennoch sicher, dass es Ashley war. Keri erkannte ihr Zimmer. Ein Bild zeigte sogar das Mathematikbuch, in dem sie ihren gefälschten Führerschein versteckt hatte. Auf einem anderen war ein Teil ihres Stofftieres sichtbar, das mit abgewandtem Kopf auf ihrem Kissen saß, als könne es den Anblick nicht ertragen. Keri wurde blass.

Sie beschloss, sich als nächstes die gesendeten SMS anzusehen. Ashley hatte die erotischen Fotos an einen Typen namens Walker gesendet, vermutlich der Typ mit dem Sixpack. Die zugehörigen Mitteilungen waren eindeutig. Trotz Mia Penns inniger Beziehung zu ihrer Tochter, schien Stafford Penn den realistischeren Eindruck von Ashleys Privatleben zu haben.

Eine Mitteilung an Walker vor vier Tagen lautete: Ich habe Denton offiziell abserviert. Könnte Probleme geben. Ich sag Bescheid.

Keri schaltete das Handy aus und saß nachdenklich in dem dunklen Schuppen. Sie schloss die Augen und ließ ihre Gedanken wandern. Plötzlich spielte sich vor ihrem inneren Auge eine Szene ab, so lebendig, als hätte sie genau hier stattgefunden.

Es war Sonntag, ein schöner, sonniger Septembermorgen mit blauem Himmel. Sie war mit Evie auf dem Spielplatz. Stephen kam an diesem Tag von einem Ausflug in den Bergen zurück. Evie trug ein lilafarbenes T-Shirt, weiße Shorts, weiße Spitzensocken und Sportschuhe.

Sie lächelte über das ganze Gesicht. Ihre grünen Augen leuchteten und ihre blond gelockten Zöpfchen wippten in der Sonne. An einem ihrer Schneidezähne war ein kleines Eck abgebrochen. Da es kein Milchzahn mehr war, mussten sie ihn irgendwann richten lassen. Doch immer, wenn Keri es erwähnte, geriet Evie in Panik, deswegen schoben sie es immer wieder auf.

Keri saß barfuß im Gras, um sie herum lagen Papiere verstreut. Sie bereitete sich auf ihren Vortrag auf der Kriminologen-Konferenz am nächsten Tag vor. Sie hatte sogar einen Gastredner eingeladen, einen Detective vom LAPD namens Raymond Sands, der sie in der Vergangenheit ein paarmal kontaktiert hatte.

„Mami, kaufst du mir ein Eis?“

Keri sah auf die Uhr. Sie war fast fertig und der Laden lag auf dem Heimweg. „Gib mir fГјnf Minuten.“

„HeiГџt das Ja?“

Sie lГ¤chelte. „Ja! GroГџartige Idee.“

„Darf ich mir auch SoГџe oder Streusel aussuchen?“

„Kommt darauf an… Wie sieht Feenstaub aus?“

„Ich weiГџ nicht.“

„So bunt wie Streusel! Verstehst du?“

„Klar verstehe ich! Ich bin doch kein Baby mehr!“

„NatГјrlich nicht, mein Schatz, entschuldige. Gib Mir noch fГјnf Minuten.“

Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Vortrag. Eine Minute später ging jemand an ihr vorbei. Sein Schatten fiel kurz auf ihre Papiere. Sie ärgerte sich über die Ablenkung und versuchte sich wieder zu konzentrieren.

Plötzlich wurde die Stille von einem entsetzlichen Schrei zerrissen. Keri blickte erschrocken auf. Ein Mann in Windjacke und Baseball-Mütze rannte davon. Sie konnte ihn nur von hinten sehen, bemerkte aber, dass er irgendetwas in den Armen trug.

Keri stand auf und sah sich unruhig nach Evie um, aber sie konnte sie nirgendwo entdecken. Ohne nachzudenken rannte sie dem Mann hinterher. In diesem Moment sah sie Evie. Der Mann hatte sie fest im Griff. Sie sah völlig verängstigt aus.

„Mama!“, schrie sie. „Mama!“

Keri rannte noch schneller, aber der Mann hatte einen groГџen Vorsprung. Als sie gerade Гјber die Wiese sprintete, war er bereits auf dem Parkplatz angekommen.

„Evie! Lass Sie los! Stopp! Haltet diesen Mann! Er hat meine Tochter!“

Die Leute sahen sich verwirrt um, aber niemand half. Auf dem Parkplatz war keiner, der ihn stoppen konnte. Sie sah, wie er auf einen weißen Van am anderen Ende des Parkplatzes zu rannte. Er war nur noch wenige Meter davon entfern, als sie Evie rufen hörte.

„Mama! Hilf mir!“

„Ich komme! Halte durch!“

Keri gab alles. Brennende Tränen ließen ihre Sicht verschwimmen. Sie konnte kaum mehr sehen. Sie ignorierte ihre schmerzenden Muskeln und ihre Furcht. Sie erreichte den Parkplatz. Der körnige Asphalt bohrte sich tief in ihre nackten Fußsohlen, aber sie spürte es kaum.

„Er hat meine Tochter!“, schrie sie wieder.

Ein Teenager stieg gerade mit seiner Freundin aus dem Wagen unweit des Vans aus. Er sah sich verwirrt um, doch als Keri wieder rief und auf den Mann mit Evie zeigte, rannte er los.

Der Mann hatte jetzt den Van erreicht, schob die Seitentür auf und warf Evie hinein, wie einen Sack Kartoffeln. Keri konnte den dumpfen Aufprall hören, als ihr Körper gegen die Wand schlug. Der Mann zog die Tür zu und rannte zur Fahrertür, als der Teenager ihn an der Schulter zu fassen bekam. Der Mann fuhr herum und endlich sah Keri ihn von vorne. Er trug eine Sonnenbrille und hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Die Tränen in ihren Augen machten es ihr immer noch schwer, klar zu sehen, aber sie nahm einen blonden Haarschopf wahr und den Ansatz eines Tattoos an seiner rechten Halsseite.

Bevor sie mehr erkennen konnte, hatte er seinen Arm befreit und dem Teenager ins Gesicht geschlagen. Dieser fiel rückwärts gegen ein anderes Auto. Keri hörte einen schrecklichen Knack. Sie sah, dass der Mann ein Messer gezogen hatte und es dem Teenager in die Brust rammte. Er zog es wieder heraus und sah zu, wie der Junge auf den Boden sank. Dann eilte er zur Fahrertür.

Keri dachte nicht nach, sie wollte nur noch den Van erreichen. Sie hörte, wie der Motor startete und sah, dass er bereits rückwärts aus der Parklücke fuhr. Sie war nur noch wenige Meter entfernt. Schon schaltete der Fahrer in den ersten Gang und beschleunigte. Keri rannte weiter, spürte aber, dass ihre Kräfte nachließen. Sie wollte sich das Nummernschild einprägen, doch der Van hatte keins.

Sie tastete nach ihrem Autoschlüssel, doch die lagen noch auf der Wiese beim Spielplatz. Sie rannte zu dem Teenager, hoffte seinen Wagen nehmen zu können. Seine Freundin war über ihn gebeugt und schluchzte unkontrolliert.

Als sie wieder aufsah, verschwand der Van gerade um die nächste Kurve. Er wirbelte eine riesige Staubwolke auf. Sie hatte kein Nummernschild, keine Täterbeschreibung, nichts, was der Polizei helfen würde. Ihre Tochter war verschwunden und sie hatte keine Ahnung, wie sie sie wieder zurückholen konnte.

Keri sank neben dem Mädchen auf die Knie und begann ebenfalls zu schluchzen. Ihr Wimmern war von dem des Mädchens nicht mehr zu unterscheiden.

Als sie die Augen Г¶ffnete, war sie wieder in Dentons Haus. Sie konnte sich nicht daran erinnern, aus dem Schuppen und Гјber das verdorrte Gras gegangen zu sein. Jetzt stand sie in Rivers KГјche. Das war bereits der zweite Blackout an einem Tag.

Sie hatte es also nicht im Griff.

Sie ging zurГјck ins Wohnzimmer, sah Denton in die Augen und sagte: „Wo ist Ashley?“

„Ich weiГџ es nicht.“

„Warum hast du ihr Handy?“

„Sie hat es gestern hier vergessen.“

„BlГ¶dsinn! Sie hat vor vier Tagen mit dir Schluss gemacht. Sie war gestern nicht hier.“

Das war fГјr ihn ein Schlag ins Gesicht.

„Okay, ich habe es ihr geklaut.“

„Wann?“

„Heute Nachmittag. In der Schule.“

„Du hast es ihr einfach aus der Hand genommen?“

„Nein, ich bin absichtlich mit ihr zusammengestoГџen, als die Schulglocke ging und habe es aus ihrer Tasche gezogen.“

„Wem gehГ¶rt der schwarze Van?“

„Ich weiГџ es nicht.“

„Vielleicht einem deiner Freunde?“

„Nein.“

„Hast du jemanden dafГјr bezahlt?“

„Was? Nein!“

„Woher kommen die Kratzer an deinem Arm?“

„Keine Ahnung.“

„Und die Wunde in deinem Gesicht?“

„Keine Ahnung.“

„Wessen Blut ist das dort, auf dem Teppich?“

„Keine Ahnung.“

„Keri wurde unruhig und bemГјhte sich, den aufkochenden Zorn zu unterdrГјcken. Sie spГјrte, dass sie langsam die Kontrolle verlor.




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